Brahman (Sanskrit, n. ब्रह्मन् brahman) bezeichnet in der hinduistischen Philosophie die geistige Welt der Urbilder der gesamtem Weltenschöpfung, der alle Ideen, Gedanken und Formen entspringen.1
Es handelt sich bei dieser geistigen Welt aber nicht um eine monotheistische göttliche Absolutheit. Diese Philosophie beschreibt vielmehr einen Pluralismus, der sich in verschiedenen Gottheiten und einer Vielzahl von Bildern und Tugenden ausdrückt.2 Diese mannigfaltige geistige Welt ist jedoch keine dem Menschen weit entfernte und unerfahrbare Dimension. In der Regel rückt sie allerdings nicht ausreichend in das Bewusstsein und deshalb lebt er für gewöhnlich in einer sogenannten maya, einer Unwissenheit und Illusion. Nach dem Weltbild des advaita-vedanta verhüllt diese maya wie ein Nebelschleier das einzig reale brahman, sodass der Mensch nur die irdische Welt der Erscheinungen wahrnimmt und diese fälschlicherweise für beständig hält.3
In der westlichen Philosophie benennt Platon diese übergeordnete Dimension, welcher alle irdischen Erscheinungen zugrunde liegen, als Ideenwelt. Demnach stellt die Welt der Ideen die wahre Realität dar, während alle sinnlich wahrnehmbaren Objekte lediglich ein Abdruck dieser sind.4 Rudolf Steiner prägt für diese Welt der Ideen den Begriff Geisterland. Darin finden sich die geistigen Urbilder aller Dinge und Wesen, die in der Welt vorhanden sind und der auch die menschlichen Gedanken entspringen. So wie der Schatten an einer Wand das Abbild eines Gegenstandes darstellt, so stellt der menschliche Gedanke ein Abbild eines Urbildes dieses Gedankens aus dem Geisterland dar.5
Diese übergeordnete, apersonale Realität, welche sich in den verschiedenen Begriffen brahman, Ideenwelt, geistige Welt oder Geisterland ausdrückt, ist für den Menschen nicht unmittelbar mit den Sinnen erfassbar oder gar sichtbar. Sie kann jedoch durch Schulung der Bewusstseinskräfte von Denken, Fühlen und Wollen differenziert erfahrbar werden und sich schließlich personal durch den einzelnen Menschen ausdrücken. Dieser individuelle Ausdruck wird, wenn die Verwirklichung die höchste Stufe der Erkenntnis gewinnt, atman genannt.
Der Begriff atman
Atman (Sanskrit, n., आत्मन्,) kann mit Lebenshauch, oder Atem übersetzt werden. Er beschreibt einen in jedem Menschen inneliegenden Keim, der im Laufe des Lebens zu einer höheren Entfaltung kommen will. Allgemein wird darunter das verwirklichte Selbst verstanden, welches auch als „individueller Wesenskern“ benannt werden kann.6 In den alten Schriften der indischen Philosophie, den Upanishaden, wird die individuell verwirklichte Seele jedoch nicht isoliert betrachtet, sondern durchaus in einem engen Zusammenhang mit einem größeren Ganzen, einer Weltenseele verstanden.7 Während brahman die apersonale Welt des Geistes beschreibt, bezieht sich atman auf das verwirklichte personale Individuum.
Der Zusammenhang zwischen brahman und atman
In der Lehre des indischen Philosophen Shankara werden die beiden Begriffe gleichgesetzt, was bedeutet, dass atman von gleicher Qualität wie brahman ist.8 Dadurch wird beschrieben, dass die individuell verwirklichte Seele atman ein Ausdruck der geistigen Welt der Ideen und Gedanken brahman wird.9 In der indischen Philosophie wird dieser Weg in die drei Stufen manas, buddhi und atman gegliedert. Daran angeknüpft entwickelte Heinz Grill mit dem ,,Neuen Yogawillen“ einen zeitgemäßen spirituellen Schulungsweg, der den Entwicklungsgedanken in die Mitte stellt und praktisch beschreibt, wie jeder Mensch eine universale Idee zu einem erstrebenswerten Ideal entwickeln kann und dieses schließlich durch seine gesamte Persönlichkeitausdrückt.
Die drei Stufen: manas, buddhi, atman
Manas beschreibt im Allgemeinen das durch Logik gekennzeichnete Denken. Es bezieht sich in einfachster Form auf alle reflektierenden und rezipierenden Denkvorgänge. Dieses kann schließlich in eine Erweiterung gelangen, wenn bewusst getätigte Vorstellungen gebildet und in logischer Folge weitergedacht werden. In einem gehobenen Sinne beschreibt manas die menschliche Fähigkeit, eine universale, übergeordnete Idee selbstständig zu lebendigen Vorstellungsbildern zu entwickeln. Dieser Vorgang ist jedoch kein intellektueller, kategorisierender, sondern beschreibt einen feinfühligen, bewegten und schaffenden Prozess im Bewusstsein.10
Buddhi bildet als zweite Stufe das Bindeglied und steht mit der Gefühlswelt in einem Zusammenhang. Damit sind allerdings nicht die gewöhnlichen Emotionen gemeint, die aus dem Unbewussten automatisch aufsteigen, sondern bewusste und sensible Empfindungen, die aus der vorstellenden Denktätigkeit manas kreiert werden. Indem eine Idee längere Zeit zu konkreten Vorstellungen entwickelt wird, entstehen feine Wahrheitsempfindungen, die den Menschen durchdringen und ihn mit dieser Idee zunehmend verbinden. Dadurch wird die Realisierung dieses Ideals zu einem tiefen Anliegen im Menschen.
Atman berührt die tiefste Seelenkraft des Willens und kommt in eine Entfaltung, wenn sich eine Idee über die Kraft des Denkens manas, verbunden mit tiefen Wahrheitsempfindungen buddhi bis in die gesamte Persönlichkeitsstruktur und damit den Willen atman ausdrückt. Diese verwirklichte und entwickelte Willenskraft steht jedoch nicht isoliert für sich selbst, sondern idealerweise in einer abgestimmten Verbindung zu den höheren Gesetzen der geistigen Welt brahman und damit auch zu den Mitmenschen. Der individuelle Mensch repräsentiert dann durch seine ganze Person eine universale Weisheit und strahlt diese durch seine Handlungen und Worte aus. Die Verwirklichung eines höheren Ideals für ein Gesamtes verleiht eine natürliche Authentizität, wirkt sich stärkend auf die Mitmenschen und die Umgebung aus und erbaut schließlich den gesamten Kosmos.11
Die Aussage von Shankara lautet: „atman ist gleich brahman“ und sie bedeutet, wie dargelegt, dass die höchste Verwirklichungsstufe, die ein Mensch erringt mit der urgeistigen Welt brahman übereinstimmt.
Quellen:
1https://heinz-grill.de/geistige-heimat-gegen-lugen/
2Heinz Grill: Die 7 Lebensjahrsiebte und die 7 Chakren, Synergie Verlag, Roßdorf, 2019, S. 37
3Helmtrud Wieland: Das Spektrum des Yoga, 1992, Verlag Hinder und Dehlmann, Gladenbach, S. 323
4https://de.wikipedia.org/wiki/Ideenlehre
5https://anthrowiki.at/GA_9#III._Das_Geisterland
6Helmtrud Wieland: Das Spektrum des Yoga, 1992, Verlag Hinder und Dehlmann, Gladenbach, S. 134
7Heinz Grill: Die 7 Lebensjahrsiebte und die 7 Chakren, 2019, Synergie Verlag, Roßdorf, S. 203
8Helmtrud Wieland: Das Spektrum des Yoga, 1992, Verlag Hinder und Dehlmann, Gladenbach, S. 243
9https://de.wikipedia.org/wiki/Shankara
10Heinz Grill: Die 7 Lebensjahrsiebte und die 7 Chakren, Synergie Verlag, Roßdorf, 2019, S. 191
11https://heinz-grill.de/geistige-heimat-gegen-lugen/